Thomas Trauma

Vorbemerkung: Der Thomas aus dem Johannesevangelium, so wie ich ihn deute und verstehe, hat durch den Tod Jesu ein Trauma erlitten. Dadurch entsteht bei ihm in den Tagen nach der Hinrichtung Jesu eine große Leere. Thomas muss einfach die vielen widerstreitenden Gefühle abspalten. So kann er die freudige Botschaft der anderen Jünger, dass Jesus lebt, einfach nicht glauben. Sein NICHT-GLAUBEN-KÖNNEN bereitet ihm, als er auch eine Jesus-Erscheinung erlebt, Schamgefühl.

 

100% glauben, wer kann das? Kannst Du das zu jeder Zeit, egal was geschieht?

 

Thomas Schamgefühl ist auch mein Schamgefühl, wenn mir einer zur unpassenden Zeit sagt: Sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Auch der Satz „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ erzeugt Schamgefühl.

Nun frage ich: Gehört Schamgefühl überhaupt zum Glauben?

 

Soll sich doch der freuen, der vollen Herzens glauben kann, und die Menschen in Ruhe lassen, die nicht auf Grund von schwerem Leid / oder Trauer glauben können.

 

Der von mir gepredigte „ungläubige / und dann doch gläubige Thomas“ erlebt das Schamgefühl und spricht mit Petrus darüber. Auch der gute Petrus hatte so gefühlt. Nur hat er darüber nicht von sich aus gesprochen.

 

 

 

Johannes 20, 19-29

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite.

Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.

 

Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch!  Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

 

Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!

Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

 

Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

 

Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.

 

Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

 

Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

 

Glaube kann man nicht befehlen.

Glaube kann man nicht begreifen ...

nicht erklären ...

nicht beweisen ...

 

Glauben ... nicht wissen.

 

Wider alle Vernunft glauben.

****

Thomas sollte wider die Vernunft glauben.

 

Seine Weggefährten ... allesamt Jünger

des Wunderrabbis Jesu hatten ihm was voraus.

Sie hatten eine Erscheinung ... sie hatten Jesus leibhaftig gesehen ... und sie hatten seine Wundmale an Händen und an seiner Seite gesehen.

 

  • „Glaub es doch, Thomas! Es war so. Wir hatten uns getroffen. Vollkommen verwirrt ... weil ja das Grab leer war ... und Maria von Magdala ... sie redete etwas von Engeln und dann Jesus ... er sei ihr erschienen ... und das alles war so unglaublich ... wir mussten uns treffen ... darüber sprechen ....“
    • „Ja, und dann hattet ihr eine Erscheinung! ... Ja, super! ... und die Erscheinung hatte zu euch gesprochen ...
    • Wie sagtest Du eben, Petrus?
    • Ihr ward alle so verwirrt.
    • Alles klar.“
  • Thomas sah müde aus. Die Tage davor waren furchtbar. ... Unerträglich ... erschütternd ... Dies Ende.

    Nein, schlimmer hätte es nicht kommen können.

    Er hatte kaum noch Kraft enttäuscht zu sein.

    Es war nur noch eine große Leere in ihm.

     

    • Thomas ich bin nicht bekloppt!
    • Nein ... nein ... Du hättest dabei sein sollen ... Du hättest ihn sehen hören sollen ... dann würdest Du auch glauben.
    • Ganz gewiss! Wir alle waren ja fassungslos.
    • Plötzlich stand er da, obwohl wir vorher den Raum verbarrikadiert haben.
    • Da kam keine Maus raus oder rein.
    • Und trotzdem stand er da, wie aus dem nichts!“
    • „Verwirrt ... fassungslos ... das waren wir alle.
    • Petrus, ich lass Dir ja Deine Erscheinung.
    • Du magst gerne mit den anderen daran glauben.
    • Erscheinung ... Tote stehen auf und laufen herum ...
    • Jesus war toter als tot. Und Ihr wollt es nicht wahr haben. Weil Jesus viele Wunder vollbracht hat.
    • Lazarus ... wiederbelebt ...
    • und sich selbst konnte er nicht helfen?!
    • Du bist ein treuer gutgläubiger Mensch, Petrus.
    • Du warst so begeistert ... wie wir alle ...“
  • Thomas bricht ab. Ihm schießen Tränen in die Augen,

    weil ihm das Ausmaß der Katastrophe erfasst hat.

    Er fühlte sich voll ausgebremst ... wie vor eine Wand gefahren. Unbeschreiblich die Zerstörung in ihm selbst. Hoffnung, Freude, Glaube, Sehnsucht ... Liebe zunichte.

    Zurückkehren ins alte Leben.

    Das war es, was ihm bevorstand. Aus der Traum.

     

    Und dann das Gequatsche von Petrus.

    Er schüttelt ungläubig den Kopf

    und lächelt Petrus mitleidig an.

     

    • „Thomas, Thomas, Thomas!
    • Er hat uns seine Wundmale gezeigt. Hingehalten ... da wo die Nägel ... wo die Lanze ... Wundmale, echt!
    • Die Erscheinung war echt – Jesus!
    • Jesus lebt! Er ist wahrhaftig auferstanden!“
  • Petrus Wangen glühten ...

    er überschlug sich fast beim Sprechen.

    *****

    Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

     

    Glaube kann man nicht befehlen.

    Glaube kann man nicht begreifen ...

    nicht erklären ...

    nicht beweisen ...

     

    Glauben ... nicht wissen.

     

    Wider alle Vernunft glauben.

    ****

    Wir leben im 21. Jahrhundert, einer schnelllebigen Zeit. Was noch in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts unmöglich schien, ist heute möglich, und das in allen Bereichen der Forschung. Der Erfindungsreichtum ist ungebremst, auch wenn es viele Mahner gibt.

     

    Alles möglich? ... machbar?

     

    Wissenschaft und Glaube – wie stehen die zueinander?

     

    Über viele Jahrhunderte war gerade der Glaube der Kirche eine Bremse für die Wissenschaften.

    Als Wissenschaftsbremse haben die Kirchen sich selbst keinen Dienst erwiesen.

    Das wissen wir heute, das wissen die Menschen schon seit der Kopernikanischen Wende, als allen klar wurde, dass sich die Erde um die Sonne dreht – und nicht umgekehrt.

    Den Forschungsdrang der Wissenschaftler

    wird niemand aufhalten.

    Auch vor der Bibel gibt es kein Halt.

    Die historisch-kritische Methode – die Erforschung der Entstehungsgeschichte der Bibel – hat vieles Verändert.

     

    Glauben an Glaubenstexte?

    Glauben an Geschichten, die vor knapp 2000 verfasst wurden?

     

    Geht es uns da nicht wie Thomas?

    Er wollte das, was seine Glaubensbrüder ihm erzählten, nicht einfach glauben.

    Wenn Thomas aus dem 1. Jahrhundert zu uns ins

    21. Jahrhundert käme, was würde er uns sagen?

    ****

    Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

     

    „Liebe Susanne, Du bist auf Erzählungen / Erinnerungen von uns angewiesen. Wovon wir berichten, das lässt sich nicht beweisen. ... Ich war ja auch auf dem Trip, ich wollte Beweise ... wollte Jesus lebendig vor mir stehen sehen.

    Ich wollte seine Wundmale berühren.

    Das habe ich Petrus klipp und klar gesagt.

     

    Und dann war da dieser Abend.

    Diese Zusammenkunft vom engsten Jüngerkreis Jesu.

    Es wurde heiß diskutiert. Auf mich wurde eingeredet,

    ich solle doch meine Skepsis überwinden.

     

    Und er stand plötzlich mitten im Raum.

    >Friede sei mit euch!<, hat er gesagt.

    Mir wurde ganz anders, als er sich direkt an mich wandte. >Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite,

    und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!<

     

    Was sollte ich sagen. Ich war überwältigt.

    Seine Hände ... seine Wunden ... zum Anfassen.

    Es ging über meinen Verstand.

    Nur stammelnd brachte ich Worte hervor.

    Ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt habe.

    Ich weiß nur noch meine Beschämung ... wie ich kaum noch etwas sagen und denken konnte.

     

    Und dies Gefühl wurde noch stärker,

    als ich ihn dann sagen hörte:

    >Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.

    Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!<

     

    Ich brauchte viel Zeit, bis ich das alles verkraften konnte.

    Es hatte zu weh getan, ihn zu verlieren ... er wurde einfach von uns weggerissen und ermordet.

    Eine Achterbahn der Gefühle.

    Ich fühlte alles durcheinander.

    Wut – Angst – Enttäuschung – unsägliche Trauer

    und dann nur noch Leere.

    Auch als ich ihn wiedersah, mit den Wundmalen ...

    Ich konnte kaum etwas fühlen ... nur dies hässliche Beschämungsgefühl.

    Ich habe halt nicht richtig geglaubt.

    Ich hätte mehr Vertrauen haben sollen.

    Das blieb bei mir erst mal hängen.

     

    Als ich mit Petrus darüber gesprochen habe, wurde mir leichter ums Herz.

    Er sagte mir, dass es ihn ja auch so gegangen ist.

    Was die Frauen erzählt haben, konnte er auch nicht glauben.

    Doch er sagte mir, dass ich zu dem erschienenen Jesus, >mein Herr und mein Gott< gesagt habe.

    Langsam konnte ich alles annehmen. Es brauchte Zeit.“

     

    Glaube kann man nicht befehlen.

    Glaube kann man nicht begreifen ...

    nicht erklären ...

    nicht beweisen ...

     

    Mit dem Glauben ist es, wie mit der Liebe.

    Sie geht über Grenzen ...

    Überschreitet den Horizont ...

     

    Erich Fried hat ein wunderbares Gedicht

    zur Liebe geschrieben:

    Überschrieben mit „Was es ist“

    Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
    Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
    Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
    Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst.
    Es ist aussichtslos, sagt die
    Einsicht.
    Es ist, was es ist, sagt die Liebe
    .
    Es ist l
    ächerlich, sagt der
    Stolz.
    Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
    Es ist unm
    öglich, sagt die Erfahrung.
    Es ist, was es ist, sagt die Liebe

     

    Amen

     

    Mit G rechnen

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