Predigt zu Lukas 2, 41-52 („Der Zwölfjährige Jesus im Tempel“) und Römer 16, 25-27 („Gehorsam des Glaubens“), gehalten am 2. Sonntag nach Weihnachten, den 5. Januar 2014 in der St. Katharinen Kirche in Bünsdorf.
LESUNG – Römerbrief, Kapitel 16, 25-27 des Apostels Paulus:
Dem aber, der euch stärken kann gemäß meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war,
nun aber offenbart und kundgemacht ist durch die Schriften der Propheten nach dem Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden:
dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen.
Evangelium: Lukas, 2. Kapitel, Verse 41-52
Jesu Eltern gingen alle Jahre
nach Jerusalem zum Passafest.
Und als er zwölf Jahre alt war,
gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.
Und als die Tage vorüber waren
und sie wieder nach Hause gingen,
blieb der Knabe Jesus in Jerusalem,
und seine Eltern wußten's nicht.
Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten,
und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn
unter den Verwandten und Bekannten.
Und da sie ihn nicht fanden,
gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.
Und es begab sich nach drei Tagen,
da fanden sie ihn im Tempel sitzen,
mitten unter den Lehrern,
wie er ihnen zuhörte und sie fragte.
Und alle, die ihm zuhörten,
verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.
Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich.
Und seine Mutter sprach zu ihm:
- Mein Sohn, warum hast du uns das getan?
- Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.
Und er sprach zu ihnen:
- Warum habt ihr mich gesucht?
- Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem,
- was meines Vaters ist?
Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.
Und er ging mit ihnen hinab
und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.
Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.
Und Jesus nahm zu an Weisheit,
Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Vorbemerkung: Paulus predigt den Auferstandenen Jesus. Die Bedeutung seines Sterbens und seiner Auferstehung steht für ihn im Zentrum. Wie Jesus von Nazareth als Mensch war, wie er gefühlt und gedacht und gelebt hat, das ist für Paulus nicht wichtig. Die historisch-kritische Forschung macht deutlich, dass sich über die Persönlichkeit Jesu nichts aussagen lässt. Was zwischen seiner Geburt und dem Beginn seiner Wanderpredigertätigkeit liegt, bleibt im Dunkeln. Die Evangelien, die es in den Kanon geschafft haben, sind ebenso Glaubenszeugnisse, die ihren Schwerpunkt auf Jesu Verkündigung und Wirken als Erwachsener legen. Die „Jesu Leben Forschung“ vergangener Jahrhunderte diente ebenso nur dazu, das Besondere an ihm herauszustellen, ja blumig auszuschmücken. Alles Fantasy! – Trotzdem sollte die Frage, wie Jesus als Kind, als Jugendlicher, wohl war, nicht weggewischt werden. Gerade auch die Erzählung vom 12 jährigen Jesus hilft uns seine menschliche Seite in den Blick zu nehmen. Dabei sind unsere Lebenserfahrungen, unser Kindsein, mit dabei. Wenn ich die Gemeindemitglieder frage, ob sie noch eine Kinderzeichung von sich selbst aufbewahrt haben, sie auf ihr eigenes Kindsein hin anspreche, dann sind wir dem Kindsein Jesu tatsächlich ein Stückchen näher. Unser Kindsein und Jesu Kindsein haben etwas Gemeinsames, obwohl uns 2000 Jahre trennen. Auch er war ein Kind, lernte das Alphabet, lernte Psalmen ... war mal gehorsam mal aufsässig, fragte nach Gott und Glauben.
Liebe Gemeinde,
im letzten SPIEGEL (Nr. 1 / 30.12.13) war wieder ein Artikel zur Pädagogik, überschrieben: „Du sollst keine Fehler machen!“, geschrieben von Hauke Goos als Esay.
Es geht Hauptsächlich um Kinder in der Grundschule, die auf weiterführende Schulen möglichst zielgerichtet vorbreitet werden sollen.
Der Autor geht sehr kritisch mit den Leitbildern der Grundschule um, bringt Fallbeispiele aus seinem Umfeld, wie Kindern in kürzester Zeit die Freude an der Schule genommen wird.
Insbesondere die Leistungsorientierung, der Lernstoff, die Anforderungen, die Kästchen, in die Kinder gepresst werden, benennt er.
Seine Kritik richtet sich sowohl an Eltern als auch an Lehrer und Bildungspolitiker.
Zitat: „Wir Eltern müssen die Frage beantworten, was wir eigentlich wollen. Ob wir Lego-Kinder wollen, unauffällig, folgsam, vielseitig verwendbar – oder ob wir Kinder aushalten, die in erster Linie Kinder sind; unterschiedlich begabt, widerborstig, eigensinnig, verspielt, manchmal laut?“
Mich haben bei dem Artikel besonders die Kinderzeichnungen angesprochen. Kinderzeichnungen sagen mehr als 1000 Worte.
2 Selbstporträts / eine Tierzeichnung und ein Fantasiebild mit Rakete und 2 Sternen.
Zitat: „Vor einiger Zeit sollte meine Tochter in der Schule ein Bild malen, ein Selbstporträt,; die Lehrerin wollte offenbar herausfinden, wie die Kinder sich selbst sehen. .... Das Bild, das meine Tochter von sich zeichnete, zeigt ein kleines Mädchen mit großen braunen Augen und kurzen braunen Haaren. Vor dem Mund trägt es ein dreieckiges Tuch. Eine Art Räubermaske, keine Ahnung, wie sie darauf gekommen ist.
Sie werde dieses Bild nicht aufhängen, sagte die Lehrerin. Meine Tochter müsse sich an die Regeln halten. Sie solle ein neues Bild zeichnen, eines auf dem ihr Gesicht deutlich zu erkennen sei. Also malte sie ein zweites Porträt, es zeigt ein lachendes Mondgesicht. Das Räubermaskenbild verschwand in der Mappe.“
Kindheit ist so wichtig!
Und unsere Kinder erleben immer weniger Kindheit!
In der Kindheit bildet sich Urvertrauen heraus,
das dann Grundlage für das Selbstvertrauen wird.
Bilder von sich selbst, die Schulanfänger (6/7 Jahre alt) malen, sind ungeheuer wertvoll. Es sind Lebenszeugnisse.
So sehe ich mich ...
Das bin ich ...
So lebe ich ...
Das sind zur Zeit meine Gefühle ...
Das ist meine Kindheit ... mein Kindheitsgrundgefühl ...
Stellen Sie sich vor, Sie hätten heute noch ein Bild, ein Selbstporträt, das Sie als Kind gemalt haben. Und dieses Bild würde heute zu ihnen sprechen ... würde erzählen von einer glücklichen oder belasteten traurigen Kindheit.
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Begabungen entfalten ...
Soziale Kompetenzen stärken und ausbauen ...
Sich spielerisch die Welt aneignen ....
Heutige Erziehungsziele.
So in Konzepten festgehalten.
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Zu Jesu Zeiten vor 2000 Jahren gingen die Uhren anders, da lebten die Menschen in einer komplett anderen Welt ... in einer anderen Gesellschaftsordnung ... in einer anderen Kultur.
Kinder zählten da nicht ... sie liefen einfach mit ... hatten keine Rechte ... Kinder hatten zu gehorchen, und damit basta!
Von Jesus als Kind oder Jugendlicher / Heranwachsender ist kaum etwas überliefert.
Nur die Geburtsgeschichte im Lukasevangelium, das Kommen der Heiligen drei Könige ... die Beschneidung Jesu am 8 Tag seines Lebens ... die Flucht nach Ägypten ... und dann der 12 Jährige Jesus im Tempel werden in den Evangelien erzählt.
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Was war Jesus wohl für ein Kind?
War er ein besonderes Kind ... war er hochbegabt?
Oder war stink normal,
wie jedes Kind in seinem Heimatdorf?
Es gibt legendenartige Kindheitserzählungen in apokryphen Schriften, die nicht in den Kanon der Hl. Schriften aufgenommen wurden.
In diesen Legenden / Anekdoten war er BESONDERS!
»Und Jesus machte einen schlammigen Lehmteig und formte daraus zwölf Spatzen. Es war Sabbat, als er das tat. Und es waren noch viele andere Kinder mit ihm zusammen beim Spiel.
Da sah aber ein Jude, was Jesus beim Spielen am Sabbat tat, und ging spornstreichs zum Vater Joseph: „Sieh da, dein Söhnchen steht am Bach und hat Lehm genommen und zwölf Vögel daraus geformt. Er hat mit dieser Arbeit den Sabbat entweiht.“ Und Joseph kam an den Platz, sah's und schrie ihn an: „Warum tust du solche Dinge am Sabbat, die zu tun doch nicht erlaubt ist?“ Jesus aber klatschte in die Hände, rief den Spatzen zu und sagte ihnen: „Auf und davon.“ Und die Spatzen schlugen mit den Flügeln und machten sich schreiend davon. Als die Juden das sahen, erschraken sie und gingen hin und berichteten ihren Oberen, was sie Jesus hatten tun sehen.«
Volksglaube ... Ausschmückung ...
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Wie war Jesus als Kind / Jugendlicher?
Mich würde es schon interessieren.
Ich würde gerne ein Selbstporträt des 6 jährigen Jesus anschauen ... würde gerne wissen, ob er unauffällig, folgsam, vielseitig verwendbar war ... also ein Lego-Kind der damaligen Zeit ... oder ob er widerborstig, eigensinnig, verspielt war.
Hatte Jesus als Jugendlicher eine Freundin?
Wieso hat er nicht geheiratet?
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Für Paulus und die Evangelisten (Mt/ Mk/ Lk/ Joh) sind diese Fragen nicht relevant. Paulus selbst hat zentral den auferstandenen Jesus Christus im Blick. Er entwickelt während seiner Missionstätigkeit eine Christologie ... eine Glaubenslehre, wie Jesus Christus gesehen werden soll.
In seinen Briefen und in seinen Predigten entfaltet er seine Theologie, und fordert von seinen Lesern und Zuhörern Gehorsam des Glaubens.
So – und nicht anders ist es! Ja und Amen – Anfang und Ende.
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Paulus kann ich mir gar nicht als Kind vorstellen.
Ich glaube, er durfte nie Kind sein.
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Ja – aber Jesus – in der Tempelgeschichte!
Da schimmert etwas durch ... schemenhaft, wie Jesus vor seinem Coming-Out als revolutionärer widerständiger Wanderprediger vielleicht gewesen war.
Als aufgeweckter, neugieriger, begeisterungsfähiger und wacher Junge im Alter von 12 Jahren – kurz vor seiner Bar Mizwa – seilt er sich von der Pilgergruppe aus seinem Heimatdorf ab, .... geht seine eigenen Wege durch die vollen Straßen von Jerusalem ... sucht den Tempel auf ... sucht sich dort Gesprächspartner ... dazu gehörte schon etwas!
Chuzpe – Mut – und Wissensdurst!
Der Tempel war für Jesus ein wunderbarer – geheimnisvoller faszinierender – aber auch hoch irritierender Ort ...
Der Tempel gehörte zu seiner religiösen Identität / seiner religiösen Sinnsuche / Orientierungssuche ... wenn dort die Psalmen gesungen wurden, klangen sie anders als in dem Bethaus seines Dorfes.
Fragen, die lange in ihm waren, konnte er unterschiedlichen Menschen stellen ... und er fand dort Gesprächspartner.
Wie als Jude glauben ... den Glauben leben, in einer politisch hoch brisanten Zeit?
Wie begreifen können, dass die Römer das Land besetzt hatten, dass es eine Oberschicht gab, die mit der römischen Besatzungsmacht gemeinsame Sache machten?
Wie begreifen, dass es so viel Ungerechtigkeit und Verrat aller Orten gab?
Und dann auch so viel Unmenschlichkeit und Härte unter Gläubigen?
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Da fanden seine Eltern ihn im Tempel sitzen,
mitten unter den Lehrern,
wie er ihnen zuhörte und sie fragte.
Und alle, die ihm zuhörten,
verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.
Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich.
Und seine Mutter sprach zu ihm:
- Mein Sohn, warum hast du uns das getan?
- Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.
Und er sprach zu ihnen:
- Warum habt ihr mich gesucht?
Unverständnis auf beiden Seiten.
Klar, dass seine Eltern keinerlei Verständnis für Jesu Alleingang hatten.
Jesus selbst verstand nicht, dass seine Eltern so in Rage geraten waren. Er war doch nur auf der Suche nach notwendigen Antworten, nach Orientierung ... nach Wahrhaftigkeit.
Und der Tempel ist doch ein wichtiger Ort!
Da braucht man Zeit.
Zum Hinterfragen braucht man Zeit,
zur Suche nach Echtem / Wahrhaftigem braucht man Zeit.
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Was war Jesus wohl für ein Kind?
Als Erwachsener hat er sein Handwerkszeug (seine Leisten) beiseite gelegt und hat sich auf den Weg zu Johannes dem Täufer gemacht.
Johannes der Täufer war ein Aussteiger ... ein Sonderling ... war ein zorniger Bußprediger ... ein religiöser Mensch, der keine Kompromisse einging.
Johannes der Täufer bezahlte sein Anderssein – seine Art Widerstand – mit seinem Leben.
Jesus von Nazareth predigte nur kurze Zeit, bis auch er in einer Nacht und Nebelaktion verhaftet, dann gefoltert und getötet wurde.
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Was prägt uns heute religiös?
Können wir Religion und Alltag überhaupt noch miteinander verbinden?
Wissen wir, welche religiösen – und damit existentiellen Fragen – unsere Kinder und Jugendlichen haben?
Haben unsere Kinder überhaupt noch Zeit und Gelegenheit, Glaubensfragen und Zweifel zu äußern?
Und wie könnte unsere Gesellschaft menschlicher werden?
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Bei jeder Taufe sage ich bei der Tauffrage zu Eltern und Paten:
„Am Anfang des Lebens stehen
ganz viele Wünsche, Träume, Hoffnungen –
ganz viel Neugier und Fragen ohne Ende.
Wenn euer Kind / euer Patenkind
von euch etwas wissen will,
wenn ER Rat brauchen – oder eure Unterstützung,
dann soll ER zu euch kommen können,
und ihr sagt IHM,
was euch stark macht,
was euch hilft,
was euch trägt –
was ihr glaubt.
Amen
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