Sturm still

Sieh, da hebt die Sonne sich übers Meer.

Luft und Welle lodern rot um sie her,

Licht, dem stummer Jubel entgegenschlägt,

wenn es an der Küste der Welt anlegt.

 

Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord,

trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

 

Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last;

das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.

 

Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land.

Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

 

Ein Schiff, daß sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit.

Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit.

Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr,

Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr.

Und immer wieder fragt man sich, wird denn das Schiff besteh?

Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn?

Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr,

denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer.

O bleibe bei uns, Herr!

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Die ersten Jünger Jesu waren „einfache“ Menschen, sie waren keine höher gestellten Persönlichkeiten, waren keine einflussreichen Leute mit Beziehungen zu den Herrschenden. Von Beruf waren sie  Fischer, Kleinbauern, Handwerker .... später kamen überwiegend Tagelöhner, Bettler, Sklaven, Arbeitslose, Witwen, Waisen und Dirnen hinzu.

 

Der Alltag war beschwerlich und bedroht. All ihren Glauben nahmen die Menschen zusammen, versuchten das beste aus ihrem Leben zu machen, versuchten in den Wegen Gottes zu wandeln, sprich: die Geboten Gottes zu befolgen.

 

Die Fischer am See Genezareth waren von Wind und Wetter abhängig. Hinausfahren auf den See ... Netze auswerfen ... hoffen, dass sie Fische fingen ... ihre Fahrten auf dem See waren oftmals gefährlich ... auch frustrierend, wenn sie nur einen kleinen Fang machten.

 

Dass die Römer das Land besetzt hatten, hatte auf jeden Menschen Auswirkungen, denn jeder wurde registriert, musste Steuerabgaben errichten ... hatte Angst, alles zu verlieren. So war Hoffnungslosigkeit und Resignation um und um. Die mit den Römern kollaborierende Oberschicht verschärfte die Situation, denn Vorsicht war geboten! Vorsicht vor Spitzeln, vor Anklägern ... vor sich plötzlich entladender Gewalt. Im Grunde waren das bürgerkriegsähnliche Zustände, die Glaube und Vertrauen zerstörten.

 

Echter Glaube, trotz allem! Das war in den Herzen vieler Menschen, wie auch Sehnsucht nach Frieden. Das gab den Menschen Kraft im Alltag. Kraft, zum Ufer zu laufen, die geflickten Netze in die Hand zu nehmen ... ins Boot zu steigen und der aufgehenden Morgensonne entgegen zu segeln.

 

„Sieh, da hebt die Sonne sich übers Meer. Luft und Welle lodern rot um sie her. Licht, dem stummer Jubel entgegen schlägt, wenn es an der Küste der Welt anlegt.“ ... Die Morgensonne schafft es, lässt die Seelen der Menschen hoffen und vertrauen. Dazu die täglichen Gebete, Segensprüche auf den Lippen: „Gepriesen seist Du, Ewiger unser Gott; Du regierst die Welt. Du lässt die Sonne aufgehen und schenkst uns einen neuen Tag.“

 

Glaube hat immer geholfen. Es ist das Einige, woran man sich in stürmischen Zeiten fest halten kann. „Ewiger unser Gott und Gott unserer Vorfahren, lass uns wohlbehalten unterwegs sein. Behüte unsere Fahrt auf den See und geleite uns lebendig, froh und unversehrt zurück.“

 

***

Im 1. Kapitel des Markusevangeliums wird in knappen Versen erzählt, wie Menschen zu den ersten Jüngern Jesu wurden: „Als er aber am Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen; denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen! Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.

Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, wie sie im Boot die Netze flickten. Und alsbald rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern und folgten ihm nach.“

 

Menschenfischer – Jesus ist auf Menschen getroffen, die voller Sehnsucht waren, die am bestehenden Unrecht litten und die unablässig gegen die Hoffnungslosigkeit angebetet haben. Diese Menschen aus ihrem bisherigen Leben heraus zu reißen, sie zu begeistern, ging – nach der Erzählung – einfach.

Die ersten Jünger haben sich auf Ungewisses eingelassen. Doch Jesus bot ihnen Sicherheit, Orientierung, Halt. Er wurde für sie mehr und mehr zum Ankerpunkt ihres Lebens. Obwohl sie ihn oftmals nicht sofort verstanden haben, nachfragen mussten ... im Ungewissen blieben, ob durch Jesus / mit Jesus / durch seine Verkündigung echt ein Wandel zum Guten kommen würde.

 

***

Umsteigen ... aussteigen ... Kehrtwende ... Kurswechsel ...

 

Ich will beim Schiffsmotiv bleiben.

 

Das Weihnachtslied, das wir eben gesungen haben, nimmt das Schiffsmotiv auf.

„Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort. / Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last; das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast. / Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“

 

Beschaffenheit ... Takelage ... Mannschaft ... Ladung ... alles wichtig. Und mit Jesus an Bord kann nichts schief gehen, auch wenn starke Winde, Gewitter und Sturm aufkommen. Die Jünger Jesu hatten die komfortable Lage, dass Jesus direkt bei ihnen war. Nicht „nur“ der „geglaubte Jesus“, sondern Jesus aus Fleisch und Blut realiter gegenwärtig. ... wunderbar erzählt im 4. Kapitel des Markusevangeliums: „Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde. Und Jesus war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“

 

Glauben haben, mitten im Sturm? ... ja, doch, Glauben haben wollen ... zweifeln, wenn die Angst hoch kriecht und dann doch Glauben haben wollen und Jesus wecken gehen. Jesus an Bord ist auf alle Fälle gut. „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden ...“

Wenn Jesus an Bord ist ... in den Gedanken, Herzen, der Menschen, dann ist alles, was Jesus gelebt hat – wofür er eingestanden ist – was er den Menschen seiner Zeit begreiflich machen wollte, an Bord.

Ja, dann ist Gott nahe.

Eine schwere Last? Eine leichte Last?

 

Eine „teure Last“ heißt es im Weihnachtslied! Eine wertvolle Ladung, die im Grunde unbezahlbar ist. Wo Jesus drauf steht, da müsste Liebe, Mitgefühl, Klarheit, Gerechtigkeitsgefühl, Mut, Ehrfurcht vor dem Leben, Mitmenschlichkeit drin sein. Die Ladung / die Last ist kein Selbstzweck. Das Schiff soll von Hafen zu Hafen fahren ... soll Menschen miteinander verbinden ... allein das Herumdümpeln auf dem Weltmeer bringt nichts. Auch das bestaunen lassen als Museumsschiff bringt ebenso nichts.

„Ein Schiff, dass sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr. Und immer wieder fragt man sich, wird denn das Schiff besteh? Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn? Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer.“

 

Wird denn das Schiff bestehen? Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehen? Das müssen wir uns immer mehr fragen, wenn wir an die verfasste Kirche denken. Die verfasste Kirche als Institution, als Apparat, als Verein, als Firma, als Unternehmen .... ja, da habe ich meine Zweifel, ob die Bestand haben wird, ob die  nicht immer mehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Die Großkirche, die große Organisation, die große Struktur, verliert den Blick für die Vielfalt. Gemeinde Jesu besteht aus vielen Schiffen, die unterwegs sind. Die Mannschaften sind sehr unterschiedlich zusammen gesetzt. Gerade die Vielfalt / nicht die Einheitlichkeit, ist das besondere, ist das, was es lebendig macht.

 

Die Insel hier in Damp ist für mich so ein kleines Kirchenschiff. Dass es hier lebendig zu geht, Menschen sich eingeladen fühlen, das ist offensichtlich, das kann man spüren. Das Ziel / bzw. der Zweck der Insel ist es, dass sehr unterschiedliche Menschen hier im gemeinsamen Gottesdienst Kraft finden. „Bleibe bei uns, Herr!“ hier vor Ort zu beten, ist erfüllend und wertvoll.

Dies gerade weil hier Menschen aus vielen Orten Deutschlands zusammen kommen. Menschen, die in der Dampklinik Patienten sind, Menschen aus umliegenden Gemeinden. Eigentlich unbezahlbar dieser Ort der Begegnung.

 

Ich hoffe sehr, dass bei der kommenden Strukturreform „von oben“, im Blick bleibt, wie wertvoll solche Gebetsorte, wie die Insel, sind. Dass die kleinen Kirchenschiffe das Ganze ausmachen. Jesus selbst dachte nicht in großen Strukturen, dachte nicht von oben herab. Er ist von unten in die Welt gekommen, und hat sich an die Menschen gewandt, denen er begegnet ist. Und diese Begegnungen waren echt, sie waren nicht inszeniert ... nicht gekünstelt ... diese Begegnungen waren existentiell ... entscheidend ...

 

Der Weg ist das Ziel.

So sagt man. Die Jünger Jesu wussten am Anfang – als sie sich auf Jesus eingelassen hatten – nicht, wohin sie das führen würde. Obwohl ihnen Jesus immer wieder gesagt hat, dass sein Weg kein leichter sein würde. Sie wünschten sich, dass das Ziel – die Befreiung, das Heil, der Friede, die Rettung – mit ihm kommen würde ... irgendwie ganz herrlich groß. Dass es so schwer sein würde, Jesus zu begleiten ....

Gottes Weg in unsere Welt gibt mir Hoffnung.

Denn dem menschgewordene Gott ist kein Lebensweg zu beschwerlich ... er begleitet jeden von uns – auch durch die nicht enden wollende Todesschattenschlucht.

 

Amen

 

 

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