Aufstehen für Opfer

Predigt über Hebräerbrief 13, 12-14, gehalten am 6. April 2014 (Judika) um 10 Uhr in Sehestedt und um 17 Uhr in Rieseby. In Rieseby anwesend war die Journalistin, Frau Sandra Stalinski, die ein Interview mit mir über Sühneopfer Jesu für den Radiosender WDR 5 – die Sendung „Diesseits von Enden“ – geführt hat. Die Sendung wurde an Karfreitag, den 18. April 2014, um 9.20 Uhr gesendet.

 

Gott, der für uns Mensch geworden ist,

der unsere Haut getragen hat,

der in unseren Schuhen gegangen ist,

der von ganz unter in die Welt gekommen ist,

um einem jedem von uns nahe zu sein,

sei mit uns allen.

Amen

 

Der Predigttext: Hebrärerbrief 13, 12-14):

„Darum hat auch Jesus,

damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut,

gelitten draußen vor dem Tor.

So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager

und seine Schmach tragen.

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt,

sondern die zukünftige suchen wir.“

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

m ...

 

  • „So hat Jesus, obwohl er Gottes Sohn war,
  • doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.
  • Und als er vollendet war,
  • ist er für alle, die ihm gehorsam sind,
  • der Urheber des ewigen Heils geworden, ...“
  • So der Lesungstext (Hebräerbrief 5, 8-9)
  •  

    Der Predigttext

    kommt ebenso aus dem Hebrärerbrief 13, 12-14):

    • „Darum hat auch Jesus,
    • damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut,
    • gelitten draußen vor dem Tor.
    • So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager
    • und seine Schmach tragen.
    • Denn wir haben hier keine bleibende Stadt,
    • sondern die zukünftige suchen wir.“
  • Sich AUF-OPFERN / LEIDEN FÜR ... darum geht es ...

    Auch um LEID an sich.

    Und es gibt auf unserer Welt VIEL LEID.

    ****

    „ ... draußen vor den Tor ...“ musste Jesus mit zwei anderen Menschen an der Seite grausam sterben.

     

    Dieses DRAUSSEN-SEIN steht für Vereinzelung / Isolation / Einsamkeit / Ausgrenzung.

     

    Der Leidende / Sterbende ist ganz auf sich geworfen,

    kämpft und ringt alleine ...

    fragt nach dem WARUM / dem SINN seines Leidens.

    Leiden – Sterben – ja, und Trauern ist

    eine höchstpersönliche Angelegenheit.

     

    Jeder der drei Gekreuzigten auf Golgatha

    ist SEINEN TOD gestorben, hat seine Todesangst gelitten.

     

    ****

     

    In Sachen „Leiden / Sterben / Tod“ gibt es Spezialisten, Sachverständige, die helfen sollen, damit klar zu kommen.

    Sterbebegleiter ... Trauerbegleiter ...

    Theologen ... Psychologen ... 

     

    Das es das gibt, ist wichtig.

    Denn das, was den Lebensfluss, den Alltag, unterbricht, wird in unserer Gesellschaft ausgeklammert, weggeschoben.

     

    Ein leicht dahingeworfenes: „Das Leben geht weiter“ –

    kann Trauernden unendlich weh tun.

     

    *****

    “Simplify your life” – oder – “Learning by doing”

     

    Ich bin ja von Berufswegen Spezialistin

    in Punkto Leiden und Trauer.

     

    Dabei geht mir NICHTS leicht über die Lippen.

    NICHTS ist „simpel“ .... „einfach“.

    Denn ich habe es mit höchstpersönlichen Gefühlen zu tun.

     

    • Was sage ich?
    • Was sage ich nicht?
    • Wie nah darf ich den Menschen kommen?
    • Wie viel Distanz wahre ich?
  • Häufig genug eine Gratwanderung.

    Denn ich kann nur als DIE, DIE ICH BIN, zu den Menschen kommen, kann keine Rolle spielen.

     

    „Frau Pastor, sagen Sie in der Trauerfeier bitte nichts vom LIEBEN GOTT!“ ... sagte mir ein Trauernder.

     

    Nein, „LIEBER GOTT“ habe ich nicht gebetet.

    Auch nicht: „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen, gelobt sei der Name des Herrn.“

     

    Meine LEBENS-ERFAHRUNG macht es,

    dass ich im Ernstfall so NICHT bete.

    Nicht nur „Learning by doing“, als professionelle Begleiterin mit Praxis, sondern vor allem „Lerarning by living“.

    ****

     

    Und damit sind wir beim OPFER.

    Opfer langjähriger sexualisierter Gewalt

    in Kindheit und Jugend,

    das bin ich.

     

    Ich kann NICHT über Texte, die Sühneopfertheologie transportieren, predigen,

    ohne an mein OPFER-GEWORDEN-SEIN zu denken.

     

    Dies gerade auch deswegen, weil Quälen von Schwächeren häufig bildlich gesprochen „draußen vor dem Tor“ geschieht, weil darüber geschwiegen wird.

     

    Weil Opfer schweigen ... weil Täter schweigen ... weil die Gesellschaft so gruselige Dinge nicht ertragen kann.

     

    *****

    Wer vom Kreuz redet,

    wer kann da Leiden der Schwächsten innerhalb einer Gemeinschaft verschweigen?

    Ich kann es nicht, weil in meine Seelenhaut Opfergefühle eingebrannt wurden.

     

    Wer vom Kreuz redet, sollte die vielen Kreuze, die Menschen tragen müssen, nicht klein machen.

    *****

    • „So laßt uns nun zu Jesus hinausgehen aus dem Lager
    • und seine Schmach tragen.“ Heißt es im Predigttext.
    • „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
    • oder euch taufen lassen mit der Taufe,
    • mit der ich getauft werde?“ heißt es im Evangelium.
  • Ja, Menschen, die zu Opfern gemacht werden,

    tragen „SCHMACH“ und

    müssen den „Kelch des Leids“ trinken.

     

    Nur welche SCHMACH?

    Welche SCHULD und SCHANDE?

    Welche SCHAM?

     

    Wieso schämt sich ein MobbingOPFER,

    dass ES gemobbt wird?

     

    Ich sag jetzt bewusst ES – DAS OPFER.

    Wer sollte sich schämen?

    Wer trägt VERANTWORTUNG?

    Handelt mit Wissen und Wollen?

    Wer könnte helfen, ihm beistehen?

    .... damit das ES-OPFER nicht „draußen vor dem Tor“ allein bleibt mit FREMDER SCHMACH – SCHULD – und SCHAM.

    ****

    Lange genug habe ich mich als OPFER mit beigebrachten Gefühlen herum geschlagen.

    Schuldig und dreckig habe ich mich gefühlt,

    wurde ausgegrenzt und habe mich selbst ausgegrenzt.

    Habe mich sogar selbst verachtet.

     

    *****

    • „So hat Jesus, obwohl er Gottes Sohn war,
    • doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“
    • Heißt es im Lesungstext (Hebräer 5,7)
  • Gehorsam leiden ... fremde Schmach tragen ...

    Verstummen wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.

     

    Mh .... mh ... mh ...

    Mit dem grausamen Sterben Jesu ist für mich

    die WARUM-Frage nicht aus der Welt.

    WARUM hat Jesus so grausam sterben müssen?

    WARUM müssen Menschen zu allen Zeiten leiden und trauern?

     

    *****

    In der EVANGELISCHEN ZEITUNG (Nr. 13/2014) schrieb Dr. Thomas Nisselmüller „Christsein ist ein einziger

    Coming-out-Akt“.

     

    Mit “Coming-out-Akt” verbinde ich nicht DULDEN, ZUSCHAUEN, SCHWEIGEN.

    Mit „Coming-out“ verbinde ich „Wie laut soll ich denn noch schreien?“ – so der Titel des Buches von Andreas Huckele über die Odenwald-Schule.

     

    Für andere laut schreien ... wer das tut, der hat viel von Jesus verstanden.

     

    Doch in unserer Gesellschaft müssen Opfer häufig selbst laut schreien, denn sie haben keine mächtige Lobby.

    Das wissen Menschen, die sich für mehr Rechte von Opfern einsetzen.

    ....

     

    Opfer haben keine mächtige Lobby ... doch vielleicht fühlen sie Gott an ihrer Seite, der mit ihnen weint und klagt ... der mit ihnen durchs Drecksmodderloch geht.

    Dies aus reiner Liebe.

     

    PassionsZEIT und ZEIT zum Aufstehen ist heute.

    Jesus ist AUFGESTANDEN – hat deutlich gemacht, was verkehrt läuft.

    Deswegen ist er gekreuzigt worden.

     

    ****

    PassionsZEIT sollte eine laute Zeit sein,

    voller Proteste gegen das Verschweigen von Unmenschlichkeit.

    Dies allein ist angesichts von so viel Leid auf der Welt angemessen.

     

    Amen

    Diese Predigt wurde auch in der Karfreitagssendung von “Diesseits von Eden” auf WDR5 in einem Interview mit mir unter dem Titel: “Mitleidender Jesus statt Opferlamm” zitiert.

    Klicken Sie hier, um mehr Informationen zu erhalten.

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