Sühnebock

Predigt über Jesaja 42, 1-9 zum 1. Sonntag nach Epiphanias

in der Owschlager Kirche am 12. Januar 2014 gehalten.

 

Der Gottesknecht wird in der herrschenden christlichen Theologie als stumm leidender Sünden- und Sühnebock verstanden. Dies natürlich auf Jesus bezogen. Opfertheologie in Reinkultur. Ich verstehe Jesus NICHT als stumm Leidenden, der für die Sünden der Menschen vom strafenden Gott geopfert wird. Jesus war und ist nicht stumm! – Seine Ethik / seine Predigt fordert die Menschen heraus ... fordert zu Menschlichkeit im Konkreten auf.

Dazu wurde Jesus NICHT von Gott geopfert, sondern er ist seinen Weg ganz selbstbestimmt gegangen. Dabei war klar, dass Einsatz für mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit das Leben kosten kann.

 

 

Jesaja 42, 1-9

Der Knecht Gottes das Licht der Welt

 

Siehe, das ist mein Knecht - ich halte ihn - und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.

 

Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

In Treue trägt er das Recht hinaus.

 

Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

 

So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen:

 

Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden,

 

daß du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

 

Ich, der HERR, das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen.

 

Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. So verkündige ich auch Neues;

ehe denn es aufgeht, lasse ich's euch hören.

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

im Zeitraum 598 bis 539 vor Christus (das ist im 6. Jahrhundert vor Christus) hatte das Babylonische Reich Israel fest im Griff.

586 vor Christus hat der babylonische König Nebukadnezar den Jerusalemer Tempel zerstört ... und die Oberschicht des jüdischen Volkes wurde ins Zweistromland deportiert.

In dieser Exilszeit ist der Predigttext, Jesaja 42, 1-9, entstanden. „Der Autor“ wird in der Bibelwissenschaft Deuterojesaja (d.h. Zweiter Jesaja) genannt.

  • (Die Kapitel 1-39 stammen von Jesaja ben Amos, der ca. 200 Jahre vor Deuterojesaja gelebt und als Künder Gottes gewirkt hat. Er wird auch Protojesaja genannt.
  • Die Kapitel 56-66 stammen von Tritojesaja, der schon den Sieg des Perserkönigs Kyrus gegen Babylonien voraussetzt.)
  • Exilszeit im 6. Jahrhundert bedeutete für „die Exulanten“, fern ab von der Heimat leben, und das im Bewusstsein, dass der Tempel in Trümmern lag ... 

     

    Wie sollten die Menschen fern an von ihrer Heimat ihre Identität bewahren?

    Wobei ihre Identität als Volk Israel / als „Juden“ ganz stark mit ihrem Glauben verwoben war.

     

    Glaube und Identität als Volk gehörten für sie untrennbar zusammen.

    Sie verstanden sich eben als religiöse VOLKS-GEMEINSCHAFT.

     

    In dieser Zeit liegen auch die Anfänge des Synagogengottesdienstes. Diese Gottesdienste benötigten keine Opferhandlungen mehr ... denn das Opfern war an den Jerusalemer Tempel gebunden ... der ja zerstört war.

    • keine Rauchopfer mehr
    • kein Schlachten von Tauben und Lämmern
  • Aus der Not eine Tugend machen ...

     

    Neue Wege finden für Bewahrung von Identität als Religionsgemeinschaft, das haben die Menschen während des babylonischen Exils gemacht.

     

    Auch die akribische Einhaltung der Gebote (insbesondere Sabbatgebot und Speisegesetzgebung) waren den Menschen zentral.

    Weil das Exil  als kollektive Strafe Gottes verstanden wurde.

    Strafe dafür, dass die Gläubigen immer wieder Gebote Gottes übertreten hatten.

     

    Gleichzeitig entwickelte sich die Hoffnung auf einen Retter / Befreier / Heiland / Messias, der die Deportierten wieder zurück bringen möge ... und für Heil und Frieden im Heimatland sorgen sollte.

     

    • Siehe, das ist mein Knecht - ich halte ihn - und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben ....
  • Der Anfang des ersten Gottesknechtsliedes.

     

    Gottesknecht – Knecht Gottes – Gottes Diener

     

    Die Vorstellung von einem Helden – einem Edlen und Reinen – der Gott wohlgefällt – und der Heil / Rettung bringt, ist nicht neu. Zu allen Zeiten, in allen möglichen Kulturen gab und gibt es Helden / Führer ... Befreier ... Retter ...

     

    Wie stellt sich Deuterojesaja den Knecht Gottes vor?

    Er wird Recht bringen ... Recht und Weisung hinaus tragen ...

    Er wird nicht schreien noch rufen ...

    Seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen ...

    Was geknickt ist, wird er nicht zerbrechen ...

    Was nur noch glimmt, wird er nicht auslöschen ...

    Er wird zum Bund für das Volk ...

    Er wir zum Licht für die Heiden ...

    Er wird den Blinden die Augen öffnen ...

    Er wird die Gefangenen aus dem Gefängnis führen ...

     

    Im 4. Gottesknechtslied, da wird noch genauer beschrieben, wie er so ist und was mit ihm geschehen wird:

    „Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. ....Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. .... Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein  Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf ....

     ....Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, ... Und man gab ihm sein Grab wiewohl er niemand Unrecht getan hat“

     

    Der Gottesknecht, ein Leidender ... der geopfert wird.

     

    *****

    Immer wieder Opfer?

    Warum?

     

    Sich in bedrängter Lage einen Retter / einen Helden herbei sehnen, das kann ich verstehen, doch einen zum Opfer bestimmen, um Gott gnädig zu stimmen, das verstehe ich nicht.

     

    *****

    Die Gottesknechtslieder werden gerade in der Passionszeit und an Karfreitag auf Jesus bezogen.

    Er wird als Lamm Gottes gesehen, der sich stumm abschlachten lässt.

     

    So stumm war Jesus doch gar nicht!

    Er wird nicht schreien noch rufen ...

    Seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen ...

     

    Ich denke, Jesu Predigt hat ganz viele Menschen in Bann gezogen ... hat sie begeistert ... hat ihnen Mut gemacht ... hat ihnen gezeigt, wie man nach den Geboten Gottes menschlich leben kann ...

    Jesus hat aufgezeigt, was menschlich – ehrlich – lebbarer Glaube sein könnte ...

    Dann hat er sich immer wieder mit Rechtgläubigen gestritten ... hat sich in kürzester Zeit auch Feinde gemacht ... wurde von den Römern als gefährlicher „Revoluzzer“ erkannt ...

     

    *****

    Jesu Stimme hören wir heute noch!

    Und was Jesus getan hätte, das fragen sich viele Menschen – und handeln danach – nach Jesu Ethik.

     

    ****

    Jesus lebt! – Sein Denken – seine Botschaft – sein Zorn gegen Hartherzigkeit / gegen Scheinfrömmigkeit ... und Unmenschlichkeit.

     

    ****

    Ja, ich glaube schon, dass sich Jesus „aufgeopfert“ hat,

    aber er war kein „Opfer“ im Sinne von religiösem Schlachtopfer.

     

    *****

    Jeder Mensch, der sich gegen Gewalt / Unmenschlichkeit / Ungerechtigkeit öffentlich wendet, muss damit rechnen, dass er getötet wird.

     

    ****

    Wir leben im 21. Jahrhundert.

    Schauen wir nur ins vergangene Jahrhundert zurück, wie viel Kriege / Leid / Not / Vertreibung / Verfolgung / Verschleppung ... Hunger ... Armut ... es nur allein auf der Welt gegeben hat.

     

    Den Blick Ausschnittsweise gerichtet auf diesen geschichtlichen Aspekt:

    12 Millionen Deutsche und Deutschstämmige wurden von 1944/45 bis 1950 aus ihrer Heimat vertrieben. Nur allein auf diese Menschen geschaut, zumeist Frauen, Kinder, alte Menschen.

     

    Wie viele namenlose „Helden“ hat es bei Flucht und Vertreibung gegeben. Wie viele Mütter haben gehungert, um ihre Kinder vor dem Verhungern zu bewahren ... namenlose „Helder“.

    Sie haben sich „aufgeopfert“.

     

    Und wurden sie überall mit offenen Armen empfangen, überall menschlich behandelt?

     

    ****

    Wir leben im 21. Jahrhundert.

    Schauen wir auf Sinti und Roma.

    Während der NS-Diktatur sind in den deutschen Konzentrationslagern 500 000 Roma vernichtet worden.

     

    Auf Facebook konnte man bis August 2013 folgende Einträge zu einem Häuserbloch in Duisburg-Rheinhausen lesen:

    „So ein Wichsvolk macht mich Wahnsinnig“....

    „Bombe da rein und fedisch“ ...

    „Brennt diese Wichser nieder“ ...

     

    Die Politiker in Europa tun sich schwer mit den Sinti und Roma. In vielen Ländern sind sie unglaublichen Diskriminierungen und Hetze ausgesetzt.

     

    So dass eine rechtsradikale Gruppe in Rumänien ungestraft die Sterilisation von Roma-Frauen fordern darf. 

    Wann stellen sich die Länder in Europa dem Leid der Sinti und Roma?

     

    *****

    Wir brauchen viele Menschen, die im Geiste Jesu handeln.

    Die sich fragen: „Was würde Jesus tun?

    Was ist menschlich geboten?

     

    Jesus wollte kein Anführer eines bewaffneten Widerstands gegen die Römer sein. Seine Waffen waren seine Worte und seine Liebe zu Menschen.

     

    Jesus wollte auch keine neue Religion, in dessen Namen über die Jahrhunderte hindurch Menschen leiden mussten.

    Das kann ich mir nicht vorstellen.

    Wenn es um Nächstenliebe geht, dann wird es immer konkret und menschlich.

    Und die Menschlichkeit sollte in einer Religion des 21. Jahrhundert immer ganz oben auf der Agenda stehen. Das nicht als politisches Plakat / oder Programm, sondern als gelebte Realität.

     

     

    Amen

     

     

    Mit G rechnen

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