Die Kreuze bleiben

Predigt zu dem Sonntag Estomihi, Text: Markus 8, 31-38

Gehalten am 15. Februar 2015 in der Owschlager Erlöserkirche

 

Sollten die Kreuze in christlichen Kirchen abgehängt werden? Ich sage NEIN.

Dies Obwohl ich nicht der Sühneopferlehre anhänge; nicht glauben kann, dass Gott seinen Sohn für mich am Kreuz hat sterben lassen. Ein Gott, der so einen Heilsplan ausheckt, ist nicht mein Gott.

Trotzdem brauche ich das Kreuz. Denn über das Kreuz bin ich zum Glauben gekommen. Es hilft mir zu verstehen, dass Horizontale und Vertikale zusammen gehören, dass es keine Gottesliebe ohne Nächstenliebe gibt.

Und es stellt mir viele Fragen.

Wie ich mit meinen persönlichen Leidenserfahrungen leben kann.

Was ich anderen Leidenden vom Glauben und Glaubenszweifeln sage.

Wie ist als Gottrednerin predige.

 

Ohne diese Fragen kann ich nicht lebendig glauben.

 

 

Evangeliumslesung: Markus 8, 31-38

Und er fing an, sie zu lehren:

Der Menschensohn muss viel leiden

und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.

Und er redete das Wort frei und offen.

Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.

Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan!

Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Und Jesus rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern

und sprach zu ihnen:

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst

und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

 

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren;

und wer sein Leben verliert um meinetwillen

und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.

 

Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?

 

Denn was kann der Mensch geben,

womit er seine Seele auslöse?

Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt

unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht,

dessen wird sich auch der Menschensohn schämen,

wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

unter Reformtheologen, zu denen ich mich auch zähle, wir diskutiert, die Kreuze in Kirchen abzuhängen.

Ich bin nicht dafür, denn all zu schnell werden Menschen, die leiden ... die trauern, ... an den Rand geschoben – die KARFREITAGE, die unzählige Menschen täglich leben müssen, werden verdrängt, abgewehrt.

Leidensgeschichten ... Trauergeschichten ... unerträglich ... passt nicht zum „positiven Denken“, zu „Simplify your life“.

 

Hauptargument der Kreuzgegner ist, dass das Kreuz/ bzw. die Kreuzigung eine fruchtbare und grausame Hinrichtungsart im römischen Reich war.

So ein Folterinstrument ins Zentrum rücken ...

das stößt ab und wirft viele Fragen auf.

 

Die Anfragen sind wichtig. Ich schiebe sie nicht weg.

Ich verstehe sie auch.

Trotzdem sage ich, dass ich nicht auf das Kreuz im Gottesdienstraum verzichten will und kann.

 

****

Nach traditioneller christlicher Lehre ist das KREUZ ein Heilszeichen ... ein Heilssymbol.

 

Der Kreuzestod Jesu ist heilsnotwendig ... gehört in den Heilsplan Gottes.

 

Logisch: ohne Jesu Sterben + Tod – keine Auferstehung. Ohne Jesu Sterben + Tod keine Rechtfertigung vor Gott.

Nur wer an Jesus als den Gekreuzigten und Auferstandenen Sohn Gottes glaubt, erlangt ewiges Leben ... wird erlöst ... darf vor Gott kommen.

So die vorherrschende evangelisch-lutherische Kreuzestheologie.

 

****

Beim Lesen des Predigttextes habe ich sofort an zwei andere Bibeltexte gedacht.

 

An Jesus im Garten Gethsemane (Markus: 14, 32-36)

Jesus ist nach der Sederfeier des Passafestes, das er mit seinen Jüngern gemeinsam gefeiert hat, hinausgetreten in die Nacht.

„Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet!“ ... hat er zu Petrus, Jakobus + Johannes gesagt, und hat sich etwas entfernt zum Beten zurückgezogen.

„Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ ... So überliefert es uns das Markusevangelium.

 

Gottes Willen tun ... sein Kreuz auf sich nehmen.

Im Predigttext – da geht es ebenso darum:

„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst

und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“.

 

*****

Kurz dazwischen gefragt:

Warum so viel Kreuzübernahme + Leiden, Sterben + Tod?????

Freiwillig Leid auf sich nehmen ...

Ja sagen zum Leid ....

Von Jesus .... von seinen Jüngern ... von uns????

Normal will ich das doch nicht.

 

*****

Bei diesen Fragen hilft mit der 2. Bibeltext, an den ich sofort auch denken musste. Der passt wunderbar, weil die Vorkonfirmanden sich gerade mit diesem Text auf Ihrer Freizeit intensiv befassen.

Die Paradieserzählung + der Sündenfall,

die Vertreibung aus dem Paradies.

 

****

Folgende Andacht habe ich am Freitag Abend vor dem Abendmahl mit den Konfis gehalten:

 

„Schöpfung – Paradies – o wie schön!

Licht um und um – herrliche Bäume – wunderbar

Mit tollen fetten Früchten

 

Bäche mit fröhlichen Fischen

Vögel im Flug vor Freude Purzelbäume schlagend.

 

Zartes Abendrot ... laue Nacht mit Sternen am Himmel

Alles Gott gewollt und gut.

 

Adam und Eva im Paradies

 

Tag und Nacht im Wechsel ... leben beide nackt und menschlich nah ...

Könnte alles so bleiben,

hätte nicht der GROSSE GOTT

Superbäume in dieses Lebensidyll gepflanzt.

 

Bäume der Versuchung

 

Baum des Lebens

Baum der Erkenntnis von Gut und Böse

 

Warum hat er das gemacht?

Er hätte doch wissen müssen, das Adam und Eva irgendwann von den Früchten der Verbotsbäume / der Versuchungsbäume essen würden.

 

Mh, .... Was soll das?

Ist Gott ein Zukuckergott, der seine Menschlein prüft?

Der schaut, ob sie genau das tun, was er sagt?

 

Was ist Böses daran, von wunderschönen Bäumen in der Mitte des Paradieses Früchte zu essen?

 

Essen unter Strafe stellen?

 

*****

Der Gott der Paradiesgeschichte in der Bibel ist mir suspekt.

Ein ParadiesERschaffer – der in das Paradies Versuchungsbäume stellt.

 

Adam und Eva hatten noch nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen. So konnten sie überhaupt nicht erahnen, was das Essen von dem Baum bedeutet.

Sie hatten zwar das Verbot – doch sie wussten nicht, warum es ihnen verboten ist, davon was zu essen.

 

*****

Viele Fragen habe ich an das Paradies-Setting in der Bibel.

z.B. wie es sein kann, dass die Schlange so gerissen ist?

Dass die Schlange mehr weiß, als die Menschen?

Sie ist ja die Verführerin ... und weiß nach der Geschichte, dass die Menschen durch das Essen vom Baum der Erkenntnis so superschlau werden können, wie Gott.

 

Woher weiß die Schlange das?

 

*****

Warum hat Eva so eine miese Rolle abbekommen?

Eva als Einfallstor für die Sünde ... als Dumme, die sich bequatschen lässt?

 

Als eine, die Adam mit ins Verderben führt, weil sie ihm den verbotenen Apfel hinhält.

Adam als der Trottel, der genau macht, was Eva sagt.

 

*****

Kapier ich alles nicht.

Ein tolles Paradies ... und dann mitten drin ein Baum, der den Tod bringt.

 

An Evas Stelle hätte ich vom Baum des Lebens gegessen.

Hätte das auch den Tod zur Folge gehabt?

 

*****

Die Geschichte ist sehr alt.

Und sie ist eine Schöpfungsgeschichte unter vielen Schöpfungsgeschichten.

Menschengemacht ist diese Geschichte.

Und sie erklärt, wie der Tod ins Leben kam.

So sehe ich das.

 

Sie erklärt, warum die Welt kein Paradies ist ... warum der Stärkere den Schwächeren auffrisst.

 

Warum so viel Kampf und Böses auf der Welt ist.

 

Gott und der Kampf und das Böse?

Warum hat Gott die Welt so geschaffen?

 

Die Frage bleibt.

Mein Gott ist kein Spieler ... kein Übervater über Lachen und Leiden ... mein Gott gehört mitten in die Welt.

Er lebt ... er liebt ... er leidet ... er weint ... er stirbt.“

****

Danach haben wir Abendmahl gefeiert.

 

Untersteichen will ich zum Abschluss:

„Der Gott der Paradiesgeschichte in der Bibel ist mir suspekt.“

 

Suspekt ist mir auch ein Gott, der seinen unschuldigen Sohn für die Welt / für mich opfert – und ich – nur wenn ich die Heilsnotwendigkeit dieses Opfertodes gläubig und fraglos annehme, vor Gott bestehen kann.

 

Leid hat für mich keinen Sinn.

„Nimm dein Kreuz auf Dich ...“ würde ich keinem Menschen sagen.

 

Auch religiös erklären, warum andere Menschen so leiden müssen, das würde ich nie tun.

 

Wenn ich auf Jesus schaue ... dann denke ich schlicht, er hat Gott in sich leben lassen, Gottes + Nächstenliebe konsequent gelebt.

Und damit war er seinen Kritikern und Feinden einfach im Weg.

 

Das Kreuz stellt mir viele Fragen.

Ich brauche es,

ich brauche die Fragen an mich selbst und an Gott.

 

Die Fragen machen meinen Glauben lebendig.

 

Amen

 

Mit G rechnen

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