Compassion Gottes

Karfreitag weiß – nicht schwarz

In meiner Karfreitagspredigt 2015 in der Erlöserkirche Owschlag habe ich endlich gegen die Sühneopfertheologie angepredigt.

Beim Abendmahl wurde den Menschen als Spendeworte „Gott wurde Mensch für Dich“ und „Du bist Gottes Kind – Gott liebt Dich“ zugesprochen.

 

 

Johannes 19, 16-30 (ohne Lob sei dir Herre / Lob sei dir o Christe)

Da überantwortete Pilatus ihnen Jesus, daß er gekreuzigt würde.
Sie nahmen ihn aber,
und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.
Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, daß er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.
Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
Da sprachen sie untereinander: Laßt uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!

Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Danach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.

Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.

Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied.

 

 

LIED: Die Nacht ist vorgedrungen

 

Liebe Gemeinde,

 

wir haben alle Sehnsucht nach HEIL / HEILUNG / TROST, gerade dann, wenn wir leiden und trauern.

 

Welche Botschaft hilft mitten im Leid,

mitten in langen Karfreitagsnächten?

 

Hilft es, mitten im Leid,

auf andere Leidende zu schauen?

Ja, manchmal hilft es.

 

Manchmal aber auch nicht.

Vor allem, wenn Leidende aufgefordert werden mit so Sätzen wie: „Schau mal, dem geht es noch viel schlechter als Dir!

 

****

Mir hat als Kind tatsächlich das Kreuz, als Symbol für Leid, geholfen.

Ich habe mir in größter Not ein Kreuz gebastelt und über mein Bett gehängt.

 

Groß Theologie hatte ich dazu nicht im Kopf.

Eher ein kaum für mich formulierbares Gefühl von Solidarität Gottes mitten im Leid.

 

Denn Gott – so wusste ich schon – litt da am Kreuz.

Gott – Jesus – Gott – Jesus – Gott Gott Gott ...

einer für mich … nicht zwei …

 

****

Ich lese Ihnen ein Gedicht vor, dass ich ein Tag vor meinem Kunst&Glaube Abend geschrieben habe:

 

  • Mein Mikro ich
  • verschwebte fast ins Nichts
  • in langen Kindheits-Karfreitags-Nächten
  • und blieb hängen am Kreuz
  • Mitten im Leben sterben
  • fühlte ich Gottes Tod
  • Gottes Todgemacht in mir
  • Gott – Du in mir
  • Du verschwebtest fast ins Nichts
  • in meinen langen
  • Kindheits-Karfreitags-Nächten
  • und bliebst hängen am Kreuz
  • Mitten im Leben sterben
  • fühlten wir gemeinsam Tod
  • all die Trauma-Tode meines Lebens
  • lang
  • Ich und Du
  • wir ringen vereint
  • um unsere Auferstehungen
  • Das ist liebe
  • ****
  • Was ich in dem Gedicht deutlich machen will, ist Gottes „COMPASSION“ ... Gottes Mitleiden ...

     

    Ein Mensch, der nicht in Würde leben und nicht in Würde sterben kann, hat mich auf den Begriff „COMPASSION“ gebracht.

    In unseren Gesprächen geht es überwiegend um Suizid und Sterbehilfe.

     

    Wunderbar findet der Mensch, dass Jesus im Garthen Gethsemane gebetet hat, dass der Kelch an ihm vorüber gehen möge.

     

    • „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!
    • (Markus 14, 36)“
  • Der Kelch ging nicht an ihm vorüber – und er schrie am Kreuz WARUM???

     

    ****

    WARUM? – weil sein Leiden in den Heilsplan Gottes gehört. ... göttliche Vorsehung ... wird´s auch genannt.

    Kurzer Blick auf die letzten Verse des Predigttextes:

     

    • Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.
    • Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.
    • Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied. (Johannes 19, 27-30)
  • Jesus hat irrsinnigen Durst ... schreit ... stammelt ... will trinken ... hängt zwischen Himmel und Erde ... kann kaum atmen ...

    Er spricht nicht vornehm:

    „Mich dürstet“ ... und „Es ist vollbracht“ ...

    weil es in der Schrift steht – so heilsplanmäßig.

     

    ****

    Heilsplan mit Opferung für ein Kollektiv – wie kam es religionsgeschichtlich zu der Vorstellung?

     

    Biblisch gesehen ist die Schöpfungsgeschichte ist zentral.

    Gott hatte – so steht es im 1. Buch Mose – seine gut-und-schön-Welt erschaffen, in die er Adam und Eva hinein gesetzt hat.

    Die hielten sich nicht an das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen und wurden bestraft.

    *****

    Mit dem Ungehorsam von Adam und Eva kam die Sünde in die Welt.

    Die Kirchenväter machten daraus die Erbsündenlehre, aus der sich heraus die Sühneopferlehre + Rechtfertigungslehre entwickelt hat.

     

    *****

    Welches Gottesbild ergibt sich aus dieser Lehre?

     

    Das eines Gottes, der „seinen Sohn opfert“ für uns.

    Jesus stirbt quasi unseren Tod stellvertretend.

     

    ****

    Das ist genug Theologie.

     

    Vor kurzem habe ich mit einer älteren Dame gesprochen, die mir gesagt hat, wie gruselig sie die Bibelgeschichte von Abrahams Versuchung findet.

     

    1.Mose 22, 1-13 wird erzählt, wie Gott von Abraham verlangt hat, seinen einzigen Sohn, den er lieb hat, als Liebes- und Gehorsamsbeweis zu opfern.

    Kurz bevor Abraham seinen gefesselten Sohn schlachten will, greift Gott ein ... war ja nur ein Test von Gott.

     

    Nie – so sagte es mir die Dame – wird sie vergessen, wie ihr Kind aus dem Kindergarten nach Hause gekommen ist, und sie gefragt hat: „Wirst Du mich auch töten wollen, wenn Gott es von Dir verlangt?“

     

    *****

    Wenn Gott opfert, dann nur sich selbst.

     

    Und sein Opfer, wenn man unbedingt dieses Wort verwenden will, (ich würde lieber von LIEBE sprechen), besteht in seinem MITTEN-IN-DER-WELT-SEIN, in seinem Mitleiden ... mit allem, was lebt.

     

    Gott wurde Mensch für Dich.

    Du bist Gottes Kind – Gott liebt Dich.

     

    Das ist eine erträgliche Botschaft, die zwar nicht alles erklärt. Doch Liebe lässt sich ja auch nicht erklären.

     

    Liebe geschieht einfach.

    Gottes Liebe – Gottes COMPASSION hat mich am Leben gehalten.

     

    • Gott – Du in mir
    • Du verschwebtest fast ins Nichts
    • in meinen langen
    • Kindheits-Karfreitags-Nächten
    • und bliebst hängen am Kreuz
    • Mitten im Leben sterben
    • fühlten wir gemeinsam Tod
    • all die Trauma-Tode meines Lebens
    • lang
    • Ich und Du
    • wir ringen vereint
    • um unsere Auferstehungen
    • Das ist Liebe
  • Amen

     

     

    Anmerkung zur Austeilung des Abendmahls im Karfreitagsgottesdienst 2015 in der Erlöserkirche Owschlag:

    Zum ersten mal habe ich Brot und Traubensagt mit folgenden Worten ausgeteilt:

     

    Gott wurde Mensch für Dich.

    Du bist Gottes Kind – Gott liebt Dich.

     

    Als ich Abendmahl gereicht hatte, fühlte ich zum ersten mal richtig Freude in mir. Gott wurde Mensch für mich! Für Dich!

    Das Word ward Fleisch – Gott will in Dunkel wohnen ... Ehre sei Gott in der Höhe ... herrlich, ein Gott, der nicht fern ist und opfert ... ein Gott, der echt „inkarniert“ ist, in allem, was lebt.

     

    Mit G rechnen

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