Predigt Buß- und Bettag 2011

Predigt zu Buß- und Bettag 2011 in der Schlosskirche zu Ahrensburg:

Lesungstexte:

Amos, Kapitel 5, die Verse 21-24:

Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Lukasevangelium, Kapitel 21, die Verse 25-28:

Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Liebe Gemeinde,

wir haben gesungen: Die Nacht ist vorgedrungen ... ein Lied, dass von Jochen Klepper in tiefer schwarzer Nacht geschrieben wurde.

In einer Zeit, in der Herrenmenschen an der Macht waren.

 

Hinter uns Missbrauchs-Überlebenden liegt eine lange Nacht.

 

Und um Missbrauchs-Überlebende

geht es heute hier in Ahrensburg an Buß- und Bettag.

Und so will ich alle, die durch Sexualverbrechen an Leib und Seele lebenslang schwerst beschädigt wurden, direkt ansprechen –

und will Euch ermutigen.

 

Mut – nicht Demut.

Mut zum Leben

Mut zum Aufstehen ... zur inneren Vergewisserung,

dass für die Ahrensburger Missbrauchs-Überlebenden

Buße heute nicht dran ist.

 

Ihr braucht heute nicht Buße tun!

Ihr habt ein Leben lang gelitten.

Ihr habt Euch ein Leben lang für etwas geschämt,

für das Ihr Euch nicht zu schämen braucht.

 

Wie gut kenne ich dies alte Schamgefühl ... dieses Opfergefühl,

das uns die Täter beigebracht ... besorgt haben.

 

Verkehrte Welt, sage ich dazu.

Als Kind und Jugendliche hatte ich permanent das Gefühl, dass alles schräg und schief ist, dass sich nichts echt anfühlt, dass alles Lüge ist ... dass Menschen von LIEBE sprechen und in Wirklichkeit Hass meinen.

Ich nenne das, das George Orwell 1984 Gefühl ...

oder auch das: Ich bin im falschen Film – Gefühl.

 

Hier in Ahrensburg ist über lange Zeit vieles FALSCH gewesen.

Und dem sind wir auf der Spur.

Dem Falschen ... den Lügen ... dem Verdrehen und Verkehren ... dem Vertuschen ... Verharmlosen ... Verniedlichen ... all diesen falschen Dingen.

 

Noch ist kein Licht!

Noch keine Aufklärung!

Keine Übernahme von Verantwortung.

Und deshalb bleibt heute diese Kerze,

die ich vor einem Jahr an Buß- und Bettag mitgenommen habe, UNANGEZÜNDET.

 

Es ist meine Stärke als Leidensgenossin das zu tun.

Nicht das Buß- und Bettags-Licht an zu zünden.

 

Und es ist Eure Stärke zu sagen:

Hier ist noch kein Licht

in dem größten Missbrauchsskandal

der Evangelischen Kirche Deutschlands.

 

Das es so ist, wie es ist, dass immer noch keine Verantwortlichkeiten benannt und bekannt wurden,

das könnte uns Kraft und mutlos machen.

 

Doch im Evangelium heißt es:

Steht auf und erhebt Eure Häupter!!!!!

 

Dies Evangelium gilt mir und Euch!

Steht auf und erhebt Eure Häupter!

Steht auf und gebt Euch nicht zufrieden mit dem,

was seit einem Jahr und acht Monaten gelaufen ist.

 

*****

Keine Buße heute

für die Missbrauchs-Überlebenden in Ahrensburg,

aber Buß- und Bettag für die Kirche!

 

*******

 

Meine Güte, wie hab ich mich letztes Jahr damit abgekämpft,

was ich zu Buß- und Bettag sagen kann und sagen darf.

Wie war ich unter Druck gesetzt worden.

 

Jedes Wort habe ich tausend Mal hin- und hergewogen ...

habe mein Gewissen befragt ...

habe mich irritieren, beeinflussen und ängstigen lassen.

 

Besonders getroffen hat mich ein Gespräch im Vorfeld.

Da hat ein „kluger Kirchenmann“ zu mir gesagt hat:

  • „Ich dürfe mich überhaupt nicht  öffentlich zum Thema Missbrauch äußern,
  • bevor ich meinem Vater nicht vergeben habe.“
  • Das war für mich, wie ein Schlag ins Gesicht.
  •  

    Vergeben und vergessen von mir eingefordert

    und das mit erhobenem Zeigefinger?

     

    Ich habe mich von diesem klugen Mann nicht einschüchtern lassen.

    Denn was er von mir forderte, ist falsch!

    Entspringt einem uns Missbrauchs-Überlebende

    bevormundendem und verachtenden Denken.

     

    Was weiß der schon,

    wie schwer der lange höchstpersönliche Weg

    der Versöhnung in uns ist?

    Verordnen kann uns keiner was von oben –

    Da sagen wir NEIN!

     

    Das wirkt befreiend!

    Wir müssen nicht die Schuld der Täter tragen! NEIN

     

    *****

     

    Befreiung von der Bedrückung und Demütigung in Ahrensburg.

    Das ist nun angesagt.

    Ihr wartet schon so lange .... habt so lange um Hilfe gerufen ...

    Doch Eure Stärke ist es,

    nach 1 Jahr und 8 Monaten Aufklärungsspektakel

    NICHT hin zu nehmen,

    dass am Ende allein

    die OMINÖSE DUNKLE WOLKE DER SCHULD –

    oder DAS KOLLEKTIVE VERSAGEN steht!

     

    *****

    Im Vorfeld von Buß- und Bettag 2011 – da habe ich auch wieder

    Dinge erlebt, die mich reichlich irritiert haben.

    Dafür steht eine Aussage, wieder eines klugen Kirchenmannes,

    der mir unmittelbar nach der Erklärung der Kirchenleitung im Mai dieses Jahres geschrieben hat,

     

    • „Wann ist endlich Zeit für Deeskalation?“
    • „Wann ist endlich Zeit für Deeskalation?“
  • Hä ...... ! Ohne Licht im Dunkel ...

    ohne aufklärendes Verfahren,

    ohne Benennung von Verantwortlichkeiten?

     

    Also Deeskalation ... Neubeginn mit Leichen im Keller ...

    ohne Überprüfung der Strukturen – der Denkweise?

    Ne ne ne ....  is´ nicht!

     

    Überlegt Euch doch mal, was das bedeutet:

    Teppich über das lebenslange Leiden von Menschen?

    Was bedeutet das für den Kirchenvorstand der Gemeinde,

    für die gesamte Kirchengemeinde, für alle Menschen in Ahrensburg?

    Und für die Nordelbische Kirche?

     

    Teppich über, bedeutet:

    dass Pauschalbeschuldigungen im Raum stehen bleiben,

    alle und damit niemand verantwortlich ist ....

     

    Über Euch allen bleibt ein waberndes, brodelndes etwas ...

    fluchartig ... mit Beschimpfungen, Bezichtigungen, Verleumdungen, Schuldzuweisungen, Polemik, Hetze, .... dann Enttäuschung ...

    und Rückzug von allem, wo Kirche drauf steht.

     

    Ein echtes Katastrophenszenario!

    ******

     

    1912 ist die Titanic unter gegangen.

    Die Titanic ist Symbol ... Bild für die Hybris von Menschen ...

    Alles machbar ... alles zu managen .....

     

    In der Kommandobrücke der Titanic wurden

    falsche Entscheidungen getroffen,

    und der Riesendampfer ist gegen einen Eisberg gerauscht.

     

    Allen Warnungen zum trotz,

    haben die Verantwortlichen befohlen:

    Volle Fahrt voraus!

     

    Bedenken ... Sicherheit ....

    Pa! Was soll schon passieren!

    Wir sind UNSINKBAR!

     

    Eine fatale Fehleinschätzung auf der Kommandobrücke der Titanic.

    *****

     

    Mit dem, was ich von Systemen – von Strukturen weiß,

    schaue ich auf die Kommandobrücke in Kiel.

    Das ist doch logisch!

    Denn von dort aus wird ja geleitet.

    Dort muss es ja auch Haupt- und Gesamtverantwortung geben.

     

    Dort muss es diese Verantwortlichkeit damals 1999 gegeben haben.

    Davon gehe ich aus.

    Beziehungsweise, das will ich hoffen.

     

    ******

    Systeme – Strukturen – haben ein Beharrungsvermögen ...

    Haben ein Machtgefüge ...

    Sie werden geleitet von einer Denkungsart. – Einer Art Philosophie.

     

    Unser Blick richtet sich auf die Kommandobrücke-Kiel-Kirchenamt.

     

    Und da fragen wir nach

    Haupt- Gesamtverantwortung? Nach den Leitungsstrukturen?

     

    Es war ja ein externes Anwaltsbüro beauftragt.

    Kein Geheimnis ... dies Anwaltsbüro hat

    dringend angeraten ein Verfahren

    gegen die damals verantwortliche Dienstaufsicht zu eröffnen.

     

    Die pröpstliche Dienstaufsicht hat eine Scharnierfunktion zwischen Pastoren und Kirchenleitung.

    Bei so einem schweren Vorwurf,

    der gegen Pastor Kohl erhoben wurde,

    kann die Dienstaufsichtsperson nicht im Alleingang gehandelt haben.

    So muss es Mitentscheider in der Kommandozentrale gegeben haben.

     

    War es der Pförtner?

    Oder die Telefonzentrale im Kirchenamt?

     

    Wie wurde mit dieser leidigen Geschichte umgegangen?

    Alles rein informell?

     

    Tja, die Missbrauchsüberlebenden in Ahrensburg mussten sich im Mai anhören, dass es kein Verfahren gibt ... keine Aufklärung.

     

    Das ist starker Tobak.

     

    *****

    WARUM WURDE KEINE ANZEIGE ERSTATTET!

    WELCHE INTERESSEN GAB ES?

     

    Mir kommt das Bild der Waage in den Sinn.

    Wiegen ... wägen ... abwägen.

    Wenn ich an das Abwägen in Missbrauchsfällen denke,

    wird mir meistens schlecht.

     

    Das eine wird gegen das andere abgewogen.

    In der einen Waagschale liegen die missbrauchten Kinder und Jugendlichen aus Ahrensburg – auf der anderen Waagschale das Erscheinungsbild der Nordelbischen Kirche nach außen.

    Bei der Güterabwägung wurden die missbrauchten Kinder und Jugendlichen für zu leicht befunden.

     

    HILFERUFE: 1973 / 1975 / 1980 / 1983 / 1985 /1988 / 1990 / 1999 / 2010 / 2011?

    Das Leid von Menschen zu leicht befunden über Jahrzehnte?

     

    Das Bild des Abwägens ...

    des zu leicht Befindens der Opfer, das tut so weh.

    Abwägen, wenn es um Leid von Menschen geht,

    um eines Erscheinungsbildes wegen?

    Das ist nach meinem Empfinden unevangelisch und unmoralisch.

     

    Das nenne ich ein VERANTWORTUNGSVAKUUM zu allen Zeiten.

     

    ******

     

    Die Missbrauchs-Überlebenden wollen ihre Würde wieder haben,

    fordern, dass ihr Leid gewürdigt wird – endlich!

    Und dass sie Wiedergutmachung erhalten,

    nicht bloß Almosen und „menschliche Gespräche“ irgendwo und irgendwann.

     

    Jetzt wäre es für die Kirchenleitung noch möglich den Kurs zu ändern.

     

    Bischof Ulrich hat auf der Herbstsynode 2010 in seiner Rede zum Missbrauchsskandal Ahrensburg gesagt:

     

    • „Unsere Nordelbische Kirche steht und fällt nicht mit ihrem Erscheinungsbild nach außen und damit, dass es ihr gelingt, möglichst keine Skandale zu produzieren.“ ..... STIMMT
  • ABER: Unsere Kirche steht und fällt damit,

    wie sie mit den Skandalen umgeht.

     

    Unsere Kirche lebt von dem Vertrauen,

    das Menschen in die Vertreter, die Amtspersonen, der Kirche haben.

     

    Unsere Kirche lebt von Menschen, die Verantwortung übernehmen und ihr Gewissen dabei befragen ...

     

    Lebt davon, dass das Leid von Menschen überhaupt nicht gewogen wird, mit was auch immer für ein schönes Erscheinungsbild nach außen.

     

    Begreift, dass der „Störfall“ Ahrensburg ein MENETEKEL ist!

    Begreift, dass Missbrauchs-Überlebende LEGION sind –

    und dass wir Erniedrigung und Demütigung nicht mehr hinnehmen.

    Denn unser Leben lang wurden wir einfach durch gestrichen.

     

    *****

    Es ist gut und wichtig, dass es Euch, Ahrensburger Missbrauchs-Überlebende gibt, ob ihr noch der Kirche angehört oder nicht,

    einfach wichtig, dass Ihr konfrontiert, nachfragt ...

    Euch nicht unter den Teppich kehren lasst.

     

    Denn Ihr zeigt allen in der Kirche Jesus Christi auf,

    worum es gehen muss.

     

    Sich der Not von Menschen an zu nehmen.

    Nicht weg zu schauen ...

    sondern Gedemütigte und Schwache zu ermutigen ...

    Das ist evangelisch – protestantisch!

    Darum geht es doch? Oder?

     

    AMEN

    Mit G rechnen

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